
Wilde Hafenstadt & feinste Kulinarik
Text: Heidrun Henke
Fotos: Heidrun Henke
Marseille ist Architekturperle, Kulturzentrum, Hafenmetropole und Foodie-Hochburg, in der viele kulturelle Einflüsse in den Kochtopf kommen und die weit mehr als eine Bouillabaisse zu bieten hat.
Marseille, die zweitgrößte Stadt Frankreichs, wird immer wieder gern mit der Hauptstadt verglichen. „Das kleine Paris“ nennt man die Stadt, vielleicht weil es hier auch einen Triumphbogen (Porte d´Aix) und eine Notre-Dame gibt oder weil das architektonische Stadtbild wirklich eine Ähnlichkeit mit Paris aufweist. Doch ist die Hafenstadt an der Côte d’Azur in vielerlei Hinsicht der großen Schwester vorzuziehen. Denn wo bitte in Paris kann man sich denn noch erholen? Wo kann man entspannt, auf hohem Niveau frischen Fisch und Meeresfrüchte essen, ohne dass man finanziell ausblutet oder um einen Tisch kämpft? Wo in Paris ist das Klima so mild und die Sonne so gleißend, dass man einen Sonnenhut zu seiner Alltagsgarderobe zählt? Und wo kann man sich die kulturellen Highlights ansehen, ohne dass man von einer fotografierenden Gruppe Asiaten gerempelt wird? In Paris wahrscheinlich nirgends. Ein weiterer Vorteil gegenüber der französischen Hauptstadt: Marseille liegt am Mittelmeer, der nächste Strand, die nächste Bucht ist ums Eck, und das provenzalische Hinterland ist nicht nur wunderschön, sondern bietet eine Menge an Ausflugsmöglichkeiten und lädt zum Sporteln ein.
Frische Seemannsluft
In Marseille, obwohl die Stadt einen wilden, aufgeweckten Charme versprüht, kann man an einem Wochenende durchaus schnell entschleunigen. Zum Beispiel bei einem Spaziergang am Meer: glitzernde Sonne, die am Wasser reflektiert, kreisende Seemöwen über den Strohhüten, eine ganze Flotte anmutiger Segelschiffe am Horizont und eine laue Brise im Nacken. Und man kann hier vorzüglich essen, ohne sich dabei in Unkosten zu stürzen. Die kreative Küche boomt gerade wie sonst nirgendwo in Frankreich und steht für eine spannende Fusion aus Maghreb, Mittelmeerküche und französischer Tradition. Die Multikulti-Einflüsse – Marseille gilt als Tor zum Orient – sind besonders stark in den kleinen, verwinkelten Seitengassen zu spüren, wo sich ein arabisches Lokal neben das andere reiht, die Ansässigen wild über die Straße rufen und ihre Lammspieße über die Gasse feilbieten. Einfach, aber gut und günstig. Am besten, man setzt sich auf einen der Plastikstühle mitten auf der Straße, lässt sich den würzigen Geruch der gegrillten Spieße um die Nase wehen und trinkt mal einen Chai, der Hunger kommt dann von ganz allein. Genauso hat in der Multikulti-Metropole aber auch die raffinierte Kulinarik Einzug gehalten und so manch Pariser Spitzenkoch hat sich in Marseille niedergelassen, um hier sein eigenes Süppchen zu kochen – zum Beispiel eine Fischsuppe. Marseille ist berühmt-berüchtigt für seine Bouillabaisse, die hier ihren Ursprung hat. Sieben verschiedene Fischsorten sollen angeblich in den Topf, der immer wieder mit Suppensud aufgegossen wird. Als Vorspeise ist die Suppe allerdings nicht gedacht – wer eine ganze Portion schafft, schafft kein Dessert mehr. Eine andere typische Spezialität der Stadt sind die kleinen Navettes, schiffchenförmiges Süßgebäck, das an die kleinen Boote im Hafen erinnert.
Kultur am Hafen
Apropos, am Alten Hafen befindet sich der Pavillon von Stararchitekt Norman Foster, der spannende Spiegelungen von Passanten erzeugt und das Hafenviertel seitdem enorm aufgewertet hat. Das Projekt dient auch als Einladung an die Bewohner von Marseille, den großartigen Ort wieder für Veranstaltungen, Märkte und Feste zu genießen. Akrobaten, Breakdancer und Straßenmusikanten sind dieser Auf-forderung als Erstes gefolgt und machen den Quai des Belges zu einem belebten Ort. Das Kunstwerk von Foster wurde anlässlich Marseilles Ernennung zur Europäischen Kulturhauptstadt 2013 errichtet. Seitdem ist im Bereich Kunst & Kultur viel passiert.
Auch das MuCEM (Museum der Zivilisation Europas und des Mittelmeers), das zwischen dem Alten und dem Industriehafen liegt, gleich neben der historischen Festung Saint Jean, ist ein Muss für alle Kulturinteressierten und Architekturbegeisterten. Daneben befinden sich das Ausstellungsgebäude Villa Méditerranée, das ebenfalls mit seiner imposanten Architektur die Blicke auf sich zieht. Ein Stück weiter liegen die „Les Docks Villages“, ein wunderschönes und kunstvoll dekoriertes Gebäude, in dem man herrlich Shoppen und Flanieren kann. Auch im nahegelegenen, eleganten Shoppingcenter Galerie Lafayette wird Einkaufen zum tagesfüllenden Programm.
Im 6. Arrondissement in der Rue Paradis findet man schicke, französische Boutiquen mit himmlischer Haute Couture und ebenso hohen Preisen, und im ehemalig verrufenen Altstadtviertel „Le Panier“ kann man unter anderem heute trendige Shops, orientalische Dekorgeschäfte und Kunstläden entdecken. Geld-Ausgeben kann man offensichtlich in Marseille genauso gut wie in Paris. Und vor allem viel besser segeln!