
„Wir wollen die Oper zu den Menschen bringen“
Aus dem Lungau startete er seine internationale Karriere als Opern- und Liedsänger. Heute steht Rafael Fingerlos auf den großen Bühnen dieser Welt – und bringt die Oper in den Lungau. Wie dieses grandiose Projekt entstanden ist, warum ihm niederschwellige Kulturvermittlung ein wichtiges Anliegen ist, und über seinen individuellen Karriereweg spricht er im Interview mit dem SALZBURGER.
Text: Doris Thallinger Fotos: Annemie Augustijns, Wolfgang Lienbacher, Theresa Pewal, theresaweyphotography, Wiener Staatsoper / Michael Pöhn, Javier del Real-Teatro Real, Walter Skokanitsch
Im Sommer ist etwas Großes geplant – unter „Oper Lungau“ wird Così fan tutte in einer Stahlbauhalle in Mauterndorf gezeigt. Was darf sich das Publikum erwarten?
Wir realisieren ein einmaliges und einzigartiges Projekt, es ist meines Wissens die erste Oper in einer Schlosserei und auf jeden Fall die erste Oper, die im Lungau stattfindet.
Wie seid ihr auf diese unglaubliche Idee gekommen?
Die Idee dazu gibt es schon etwas länger. Stefan Ritzer, der Inhaber dieses Schlosserei-Unternehmens und langjähriger Freund, saß im Publikum, als ich bei den Salzburger Festspielen debütiert habe und hat damals schon gesagt: Wir müssen eine Oper im Lungau machen! Stefan ist ein Visionär und wir sind beide auf eine gewisse Art positiv verrückt.
Das ist schon einige Jahre her und es war aus verschiedensten Gründen nie realistisch, diese Idee umzusetzen. Ein solches Projekt hat eine große Dimension, vom Finanziellen, vom Aufwand und von der Organisation. Wir haben in der Zwischenzeit diverse andere Projekte realisiert, zum Beispiel Konzerte. Während der Corona-Zeit kam die Idee wieder auf. Ich war erst relativ zurückhaltend, weil man zu dieser speziellen Zeit ja noch vorsichtiger geplant hat. Irgendwann haben wir beschlossen, es einmal durchzurechnen – und aus diesem Durchrechnen ist ein zweijähriger Prozess entstanden, in dem wir ein Opernprojekt auf die Beine gestellt haben, das sich sehen lassen kann, auch und vor allem künstlerisch. Wir konnten einen internationalen Top-Cast dafür gewinnen: Martin Mitterrutzner hat den Ferrando bereits unter Franz Welser-Möst bei den Salzburger Festspielen gesungen, Oliver Zwarg, der den Don Alfonso singt, hat vor kurzem im Covent Garden in London debütiert. Auch Eleanor Lyons, Theresa Kronthaler und Mirjam Neururer sind normalerweise auf großen internationalen Bühnen und Festivals zu hören. Mit der Rheinischen Philharmonie unter der Leitung des Berliner Dirigenten-Shootingstars Marcus Merkel spielt dazu ein deutsches Staatsorchester, was an sich schon eine kleine Sensation ist, dass wir sie gewinnen konnten.
Du hast eingangs betont, dass die Oper Lungau einmalig stattfinden wird. Warum wird es so etwas nur einmal geben?
Meine Vision war, wenn wir dieses Projekt realisieren, dann auf allerhöchstem Niveau, sodass es auch künstlerisch für mich interessant ist. Das hat dazu geführt, dass wir sehr speziell planen mussten. Sämtliche Beteiligten können sich gerade im Sommer zur Festspielzeit schwer eine lange Periode freihalten. Daher haben wir ein Opernprojekt konzipieren müssen, das man in insgesamt nur drei Wochen umsetzen kann, vom Ausräumen der Halle bis zur letzten Aufführung. Eine normale Opernneuproduktion nimmt teilweise bis zu drei Monate in Anspruch. Noch dazu müssen wir die Fabrikhalle natürlich komplett umbauen, was bedeutet, dass wir erst fünf Tage vor den Aufführungen dort proben können.
Unter solchen Voraussetzungen eine Oper zu machen, ist eigentlich unmöglich. Das ist auch der Reiz daran! Wir haben uns für eine halbszenische Aufführung entschieden und versucht, trotz der kurzen Zeit eine Oper ohne Qualitätseinbußen zu realisieren.
In der Umsetzung haben wir eine Figur „erfunden“, den Lorenzo Da Ponte, der durch sein Stück führt, gespielt von Michael Dangl. Eine meiner wichtigsten Visionen für die Oper Lungau war, dass, wenn wir eine Oper im Lungau machen, wir auch einen Kulturvermittlungsauftrag haben. Sicherlich 80 Prozent des Publikums waren bislang selten bis nie in einer Oper, das können wir jetzt schon absehen. Im Theater ist oft das Problem, dass sich die Leute überwinden müssen, sich in Schale zu werfen und in diesen heiligen Tempel zu gehen. Das schließt viele Menschen aus, die glauben, eine Staatsoper oder Festspiele seien nichts für sie.
Eines der Hauptziele unseres Projekts ist, dass wir die Oper von ihrem Sockel heben wollen und mit der Musik zu den Menschen kommen, direkt vor die Haustür. Man muss kein Wort Italienisch verstehen oder jemals Mozart gehört haben, um zu verstehen, worum es geht. Mozart, das ist Emotion, das sind echte Gefühle, die wir alle kennen. Wir haben auch darauf geachtet, dass es leistbar bleibt und auch, dass die Lungauer beim Vorverkauf einen Vorsprung hatten.
Natürlich ist es aber nicht nur ein Projekt für Lungauer, sondern für Opernliebhaber! Und wir sehen bereits im Vorverkauf, dass die Menschen aus Wien, aus Deutschland und natürlich auch aus Salzburg in den Lungau kommen. Für jemanden, der große Opernhäuser gewohnt ist, ist das Ambiente der Werkstatt sehr spannend.
Was bedeutet für dich niederschwellige Kulturvermittlung und warum ist diese dir so wichtig?
Ich finde einfach, dass diese Musik allen Menschen gehört. Mozarts Stücke sind auch im Vorstadttheater uraufgeführt worden, nicht nur vor dem Kaiser! Damals ist es in einer Opernaufführung anders zugegangen, es war bei weitem nicht alles so „schick“ und steif, wie wir das heute kennen. Ich finde, dass es für die Balance ganz, ganz wichtig ist, auf die Menschen zuzugehen, auch um neues Publikum zu gewinnen. Man kann nicht immer erwarten, dass die Menschen kommen.
Du stammst selbst aus dem Lungau – dich hat die Musik nach Wien geführt…
Es ist tatsächlich nicht der erste Weg, eine Opernkarriere aus dem Lungau zu starten, ich habe zu Beginn meiner Ausbildung unglaublich viel aufholen müssen. Andererseits hatte ich einen großen Vorteil gegenüber allen, die schon bei den Wiener Sängerknaben usw. waren: Ich bin völlig unverbraucht an die Sache herangegangen, ich habe mich einfach berühren lassen.
Ich bin 2007 nach Wien gegangen, um zu studieren, und bin nach dem Studium nach Salzburg in die Stadt gezogen. Salzburg war lange mein Lebensmittelpunkt, von hier aus habe ich meine Musikkarriere, etwa bei den Salzburger Festspielen oder an der Semperoper Dresden begonnen. Erst im Frühjahr 2016 bin ich wieder nach Wien gezogen, als ich festes Ensemblemitglied an der Wiener Staatsoper wurde.
Nach vier Saisonen habe ich schließlich ganz bewusst den Absprung von der Wiener Staatsoper gesucht. Zu diesem Zeitpunkt musste ich eine Entscheidung treffen, weil die Nachfrage von anderen Häusern riesig wurde. Diese Entscheidung war eine strategische, ich wollte den nächsten Schritt gehen und eine internationale Karriere starten.
Wie hat sich deine Karriere ab diesem Zeitpunkt entwickelt?
Gerade zum Start meiner geplanten internationalen Gastspielkarriere kam Corona und plötzlich hat trotz ursprünglich vollem Kalender nichts stattgefunden. Es war vergleichbar mit einer Welle, die bricht, oder einem Aktienkurs, der einbricht. Es war schon ein großes Hoffen und Bangen, dass diese Welle wieder Fahrt aufnimmt, aber es ist gelungen. Danach sind wichtige Debüts gekommen, wie an der Mailänder Scala. Ich habe gewusst, wenn ich jetzt abliefere, geht’s wieder bergauf.
Seither bist du wieder voll durchgestartet… Wie wählst du heute aus, welche Partien du übernimmst?
Ich glaube, künstlerisch der wichtigste Satz dazu ist: Es geht nicht mehr um das Wo und Wie, sondern um Rollen. Es geht um Partien, die der Entwicklung guttun und auch darum, dass man an den großen Opernhäusern und Konzertbühnen präsent ist. Man wählt sich das sehr, sehr bewusst aus. Ich habe in der nächsten Zeit vier große Neuproduktionen – die sind wirklich ganz bewusst nach der Partie ausgewählt oder danach, mit wem man zusammenarbeitet, wie eine neue Premiere mit Christian Thielemann: Das ist eine künstlerische Zusammenarbeit, die mir wahnsinnig viel bedeutet. Wenn Herr Thielemann ruft, dann sagt man sehr gern zu.
Das war übrigens mit ein Grund, warum ich aus dem Festvertrag des Wiener Opernhauses wollte: Man kann selbst entscheiden, was man macht, was in der Entwicklung und künstlerisch interessant ist. Mir ist außerdem wichtig, viele Konzerte zu machen, weil mir diese Arbeit auf hohem musikalischem Niveau einfach am meisten Spaß macht: mit einem Dirigenten, einem tollen Orchester zusammenzuarbeiten und in wenigen Tagen musikalisch das Maximum rauszuholen. Ich bin viel zu sehr begeisterter Musiker, als dass ich das nicht vermisst hätte. Und eine weitere wichtige Schiene sind meine eigenen Projekte.
Welche Projekte sind das zum Beispiel?
Das sind eigene, ganz individuelle Projekte, die ich realisiere, wie unter anderem das wiederkehrende ORF III Weihnachtskonzert oder meine Projekte, die Volksmusik und Klassik verbinden. Allesamt Projekte, in denen sehr viel Herzblut steckt und die Resonanz des Publikums mir recht gibt. Man fühlt sich fast ein bisschen wie ein Rockstar, wenn man seine eigenen Sachen auf die Bühne bringt.
Ist das die Möglichkeit, wie man sich als Künstler abheben kann?
Genau. Mir ist es wichtig, etwas individuell gestalten zu können, das ist Teil meiner Persönlichkeit. Als wir zum ersten Mal „Schubert und die Volksmusik“ bei den Festwochen Gmunden gemacht haben, hat keiner gewusst, dass ich Ziehharmonika spielen kann. Bei der Zugabe hab ich einfach die Steirische genommen und mitgespielt. Ich kann mich noch an die Augen von den paar hundert Zuschauern erinnern, die erst gebannt waren und dann in Jubel ausgebrochen sind, weil man das auch nicht gewohnt ist.
Der klassische Musiker ist ein bisschen wie die heilige Statue, aber ich bin anders und möchte in Zukunft immer mehr Akzente setzen, zum Beispiel mich auch anders anziehen, wenn ich auf der Bühne bin, nicht immer im Frack auftreten. Ich bin kein ganz junger Künstler mehr, ich habe vor, meinen Weg zu gehen. Meine Erfahrung ist, je individueller man ist, je weniger man in Schubladen passt, desto wohler fühle ich mich.
Dein musikalischer Weg war ja von Beginn an ein eher individueller, unkonventioneller. Am Anfang war die Volksmusik…
Ja, erst war es Volksmusik, ich habe auch eine Rockband gehabt und wollte eigentlich Rocksänger werden. Das war auch der Grund, warum ich Gesangsunterricht genommen habe. Ich hatte gedacht, ein bisschen Ausbildung schadet nie. Es macht mir Spaß, mich zu entwickeln. Das war für mich auch der Grund, warum das Singen so spannend war, ich hätte, glaube ich, viele Talente gehabt, aber ich war wahnsinnig ungeduldig und habe oft schnell irgendwas zu einem halbwegs guten Ergebnis gebracht. Was ich auch angefangen habe – ich bin nirgends drangeblieben. Außer beim Singen. Das Singen war von Anfang an etwas, das ich immer weiterentwickeln wollte und mit dem ich immer neue Wege gehen wollte. Das macht mir nach wie vor so viel Spaß – am meisten freue ich mich aufs Üben und aufs Arbeiten. Das fasziniert mich: der beste Rafael zu sein, der ich sein kann. Und das jeden Tag.
Was sind deine konkreten nächsten Ziele und Schritte?
Das sind einige, im Herbst steht als besonderes Highlight ein wichtiges Debüt an am Teatro Colón in Buenos Aires, das war eines meiner Traumziele, die ich zwar nie wirklich formuliert habe, aber ich habe mir für mich ein paar Gedanken gemacht, in welchen Häusern ich gerne einmal singen würde. Das Teatro Colón ist eines der größten Opernhäuser der Welt, das Opernhaus mit der besten Akustik, sagt man. Ein historischer Ort, wo jeder mal gerne gesungen hätte, noch dazu mit einer super Partie. Der Danilo aus der lustigen Witwe ist für einen Österreicher natürlich ein Heimspiel. Dass ich dazu als – wie man mir sagte – erster österreichischer Sänger seit 70 Jahren auf dieser legendären Bühne einen Solo-Liederabend geben darf, ist eine riesengroße Ehre.
Es kommen viele wichtige Konzerte, demnächst etwa Carmina Burana im Musikverein Wien oder das Praterkonzert der Wiener Symphoniker. Besonders freue ich mich wieder auf unser besonderes Weihnachtskonzert. Wir sind mit „Schubert und die Volksmusik“ unterwegs u.a. im Konzerthaus in Wien, eine neue Premiere mit Christian Thielemann steht an: seine letzte in der Semperoper. Dazu kommen noch einige Mozartpartien. Es wird wunderbar, sehr international und der Kalender ist längerfristig dicht gefüllt.
Wenn natürlich ein spannendes Engagement hereinkommt, wird man sich das individuell anschauen, ob es noch irgendwo reinpasst. Das Wunschziel bleibt es auch in Zukunft, sehr selektiv für die persönliche Entwicklung zu entscheiden und dazu immer den Raum zu haben, spannende und kreative Projekte zu realisieren.