Lust oder Frust?
Erektionsprobleme, Orgasmushemmung, vorzeitiger Samenerguss, Lustlosigkeit – viele Männer stehen sexuell unter Druck. Wie können Männer ihre Lust besser steuern und sich dabei freier fühlen beim Sex? Zwei neue Bücher geben Einblick.
Text: Susanne Rosenberger
Fotos: Adobe Stock, Marlies Scheuchenegger, Thomas Leidig, Sandra Eckhardt, Bad Vigaun
Gleich zwei Neuerscheinungen kommen in diesem Herbst auf den deutschsprachigen Buchmarkt – ein deutliches Zeichen dafür, dass die Autoren einen Nerv der Zeit treffen, indem sie auf die sexuellen Probleme vieler Männer hinweisen. 20-30 % der erwachsenen Männer leiden an einer sexuellen Dysfunktion, bei den Männern über 40 soll es bereits die Hälfte sein. Doch die wenigsten wagen, sich Hilfe zu suchen. Viele leiden im Stillen und hoffen, dass sich das Problem von allein löst. Dabei kann die Wissenschaft belegen, dass sexuelle Dysfunktion sowie Unfruchtbarkeit oft in direktem Zusammenhang mit Lebensstil, Bewegungsmangel und Übergewicht stehen – was zugleich bedeutet, dass man präventiv und therapeutisch eingreifen kann.
Sex kann man lernen
„Wie Lust und Erregung auf mentaler und körperlicher Ebene funktionieren, wissen die wenigsten Männer. Oft leben sie über Jahre eine Sexualität, die sie nicht befriedigt, haben aber keine Idee, wie sie das ändern können”, sagt Sexologin, YouTuberin und Sexcoach Beatrix Roidinger. In ihrem neuen Buch “Best Lover” (erscheint am 25. Oktober 2023 im Goldegg Verlag) zeigt sie, wie Männer ihr sexuelles Potenzial entfalten können – denn allzu oft sind sie gefangen in Vorstellungen, wie Sex zu sein hat und wie sie als Männer performen müssen. Doch das erzeugt nur Unsicherheit, Stress und Versagensangst. Doch Sex kann man lernen, so das Credo von Beatrix Roidinger.
Lesemuffel können sich die Lektionen der gefragten Speakerin und Vortragenden zum Thema Sexualität auch auf YouTube ansehen, fast 9 Mio. Männer (Stand 09/23) haben sich ihre Videos bereits auf diesem Kanal angeschaut. In der „Best Lover Academy“, dem größten deutschsprachigen Online Coaching Programm, hat Roidinger eine spezifische Methode entwickelt, die schnell und effizient Männern aller Altersgruppen und Lifestyles zu mehr sexuellem Selbstbewusstsein und der Überwindung ihrer sexuellen Blockaden verhilft. „Meine Mission ist es, dass jeder Mann ein erfülltes und lustvolles Sexleben hat. Das macht ihn zum besten Liebhaber – vor allem für sich selbst, aber auch für die Partnerin”, so die Autorin. Als klinische Sexologin und Sexualberaterin fasziniert Roidinger, „wie schnell Männer mit den richtigen Tools (etwa mit neuen Stoßtechniken) ihre Probleme überwinden können und wie die Auseinandersetzung mit Sexualität zu persönlichem Wachstum und zu mehr Lebensqualität beiträgt.“
Beatrix Roidinger verfolgt einen therapeutisch-sexologischen Ansatz namens „Sexocorporel“, der Sexualität als ein Zusammenspiel von vielen Faktoren betrachtet, vor allem aber die Bedeutung der bewussten Wahrnehmung und Steuerung des eigenen Körpers während sexueller Empfindungen betont. Alle sexuellen Probleme haben ihre Ursachen auf vier Ebenen: der physiologischen (erogene Zonen, Beckenboden, Orgasmus etc.), der psychischen (Gefühle, Emotionen, Glaubenssätze, Normen und Werte), der kommunikativen und Beziehungsebene (etwa Hingabe, Verführung, Liebe und Verliebtsein) und der Ebene des sexuellen Selbstbewusstseins (Fantasien und Wünsche, Anziehungscodes, Begehren).
Solider Selbstwert
Die Themen Selbstliebe und Loswerden von limitierenden Mindsets kommen an mehreren Stellen im Buch „Best Lover“ vor, denn ein niedriger Selbstwert kann Unsicherheiten, Ängste und Scham zur Folge haben – darunter leidet auch die Sexualität. „Der Selbstwert bestimmt maßgeblich, wie authentisch und hingebungsvoll Menschen beim Sex sein können. In meinen Coachings lege ich deshalb großes Gewicht auf die Ebenen der sexuellen Sozialisation und sexuellen Selbstsicherheit“, so die Sexologin. Roidinger schildert ihre Erfahrung, dass sich die Unsicherheit vieler Männer nicht selten daraus ergibt, dass sie sich mit pornografischen Inhalten vergleichen. „In den letzten Jahren hat sich dadurch Unsicherheit vor allem unter jungen Männern massiv ausgebreitet, nicht zuletzt, weil der Erstkontakt mit Pornografie oft schon im Kindesalter stattfindet. Es geht im Porno um eine drastische Überhöhung der Wirklichkeit“, sagt sie. „Sexuelle Probleme treten dann auf, wenn es nicht gelingt, in der Sexualität eine erotische Dimension zu entwickelt, die das Denken und die Gefühle mit dem Erleben im Körper verbindet. Guten Sex hast du dann, wenn dein Hirn und dein Penis wie ein Dreamteam zusammenarbeiten.“
Stress, der größte Feind im Bett
Beatrix Roidinger spricht von fünf fatalen Irrtümern in Sachen Sex, die Stress verursachen. Als Irrtum Nr. 1 nennt sie, dass Sex immer oder zumindest meistens gelingen müsse – doch Sex fällt nicht naturgegeben vom Himmel, wir müssen in ihn investieren und lernen. Die nächsten zwei Irrtümer besagen, dass richtiger Sex ausschließlich Penetration bedeutet und jeder dem jeweils anderen einen Orgasmus besorgen muss – dabei ist doch jeder selbst verantwortlich für die eigene Lust. Der vierte Irrtum lässt sich kurz auf den Punkt bringen: er heißt Orgas-MUSS, weil Sex auch ohne Orgasmus befriedigend sein kann. Der letzte Irrtum beruht auf einem weitverbreiteten Denkfehler, nämlich dass guter Sex immer spontan sein muss – wer Sex ausschließlich dem Zufall überlässt, sollte sich nicht wundern, wenn er auch immer zufälliger kommt.
Lebensstil & Libido
Obwohl Roidinger einen ganzheitlichen Ansatz verfolgt, gibt sie zu bedenken, dass sich Defizite in Bewegung, Ernährung und Schlaf auf die Vitalität der sexuellen Empfindung auswirken, denn „wer einen schlecht gewarteten Körper hat, darf keine harte Erektion und keine umwerfenden Orgasmen erwarten.“ In diesem Punkt sind sich die Autoren einig – auch der bekannte Ernährungswissenschaftler und Bestsellerautor Dr. Nicolai Worm und „The Biggest Loser“-Host Dr. Christine Theiss, die gemeinsam einen Ratgeber zum Tabu-Thema sexuelle Dysfunktion geschrieben haben, verfolgen diesen Ansatz. Als Ursache nennen sie unseren modernen Lebensstil mit der weit verbreiteten Über- und Fehlernährung und dem damit entstehenden Übergewicht bis hin zur Fettleibigkeit. Auch Überlastung, Dysstress, psychische Probleme oder Partnerschaftskonflikte können eine erektile Dysfunktion auslösen.
Neben der Erektionsfähigkeit sind die Libido (sexuelles Verlangen), der Samenerguss und die Orgasmusfähigkeit die Hauptkomponenten der männlichen Sexualfunktion. Der vorzeitige Samenerguss (Ejaculatio praecox) kann dabei als häufigste sexuelle Funktionsstörung beim Mann genannt werden. Wenn die Medizin von einer sexuellen Dysfunktion spricht, besteht bei einer oder mehrerer dieser Komponenten über mindestens ein halbes Jahr ein Problem, was mit deutlichem Leidensdruck beim betroffenen Patienten einhergeht.
Mit dem Alterungsprozess nimmt auch die Gefäßverkalkung zu, die zu mangelnder Durchblutung führen kann. „So ist es auch verständlich, dass sexuelle Dysfunktion gehäuft bei Menschen mit Fettleber, einem metabolischen Syndrom, Typ-2-Diabetes und Herz- oder Hirninfarkt auftritt“, informieren die Autoren von „Liebe leichter“. Alle Verhaltensweisen, die unsere Blutgefäße schädigen (Rauchen, Alkohol- und Drogenkonsum) sind somit klassische Risikofaktoren für eine sexuelle Dysfunktion. Fettleibigkeit und eine mangelnde körperliche Fitness lassen zudem den Testosteronspiegel sinken – was zu einer Zeugungsunfähigkeit und Erektionsstörung führen kann, denn Testosteron ist das Sexualhormon schlechthin beim Mann. Ein Testosteronmangel kann sich in weiteren Störungen niederschlagen, wie etwa reduziertes Hodenvolumen, verminderte Körperbehaarung, Abnahme der Muskelmasse und -kraft, Erschöpfung, Aggressivität, etc. Bei einem Verdacht auf einen gestörten Sexualhormonhaushalt empfehlen die Autoren daher, einen erfahrenen Endokrinologen oder Sexualmediziner zu konsultieren.
Antenne des Herzens
Wie wichtig es ist, regelmäßig zur Vorsorgeuntersuchung zu gehen, sollte nicht extra betont werden müssen. Der Penis kann als „Antenne des Herzens“ bezeichnet werden, denn sexuelle Funktionsstörungen oder Unfruchtbarkeit weisen nicht selten auf Folgeerkrankungen wie Diabetes, Insulinresistenz, Fettleber, metabolisches Syndrom, Herz- und Hirninfarkt, Demenz- und Krebserkrankungen hin. Auch die Dauermedikation gegen zu hohen Blutdruck führt bei 20 % aller Männer in Österreich zu Erektiler Dysfunktion – daher immer einen Blick auf die unerfreulichen Nebenwirkungen von Medikamenten werfen.
Aktuelle Studien bestätigen, dass auch die Zeugungsfähigkeit vom Lebensstil abhängt und ein markanter Einfluss von Ernährungsgewohnheiten und körperlicher Inaktivität auf die Spermaqualität und -quantität nachgewiesen werden kann. Darüber hinaus weisen die Spermien (stark) übergewichtiger Männer mit metabolischem Syndrom gehäuft Funktionsstörungen auf. Die Autoren des Buches „Liebe leichter“, Dr. Nicolai Worm und Dr. Christine Theiss, empfehlen daher dringend zu einem Lifestyle für mehr Lust – denn durch Muskelaktivität, gesunde Ernährung, ausreichend Schlaf und Vermeidung von Stress lässt sich unter normalen Umständen auch die sexuelle und erektile Funktion eines Mannes wieder regulieren.
Buchtipps
„Best Lover – So spürst du mehr, steuerst besser deine Lust und fühlst dich freier beim Sex”
Von Beatrix Roidinger
Goldegg Verlag
erscheint am 25.10.2023
Zum Buch gibt es auch einen Gratis Online-Kurs mit vielen Übungen.
„Liebe leichter – Der erstaunliche Zusammenhang zwischen Lebensstil und Libido“
Von Dr. med. Christine Theiss und Dr. Nikolai Worm
Gräfe und Unzer Verlag
Erscheint am 2.11.2023
Inklusive Ernährungs- und Abnehmtipps + fünf Fitnesszirkel mit Links zu Übungsvideos.
3 Fragen an Dr. Andreas Jungwirth
Herr Dr. Jungwirth, warum ist eine frühzeitige Therapie bei Erektionsstörungen wichtig?
Es gilt der alte Spruch „Use it or lose it“ – wenn ich sexuell nicht aktiv bin, nimmt auch die Funktionalität ab. Die frühzeitige Therapie ist in der Medizin immer wichtig für einen optimalen Outcome – nur so kann die Sauerstoffsättigung des Penis langfristig verbessert werden. Eine Erektionsstörung betrifft aber nicht nur die Sexualität, sondern auch die gesamte Intimität des Paares – mit einer rechtzeitigen urologischen Beratung und Therapie behandelt man gleichzeitig den Patienten UND seine Partnerin.
Wie stehen Sie persönlich zum Einsatz von Viagra u. ä. Medikamente bei erektiler Dysfunktion?
Die Therapie von Erektionsstörungen wurde mit Viagra absolut revolutioniert, weil es die Durchblutung fördert und die bestehende Erektion verstärkt und verlängert. Diese Medikamentengruppe kann bedenkenlos eingenommen werden, weil es wenig Nebenwirkungen und keine Interaktion gibt z. B. mit Bluthochdruckmitteln. 60 % meiner Patienten, die etwa zur Prostatavorsorge in meine Praxis kommen, nehmen dieses Medikament ein.
Sie bezeichnen Testosteron als „Benzin für den alternden Mann“ – in welchen Fällen empfehlen Sie eine Supplementierung bzw. Hormonersatztherapie?
Testosteron ist ein normales Sexualhormon, das der gesunde Mann bis ins hohe Alter im Hoden synthetisiert. Ein Mangel an Testosteron ist genauso eine Erkrankung wie eine Schilddrüsenunterfunktion und kann zu Symptomen wie Konzentrationsstörung, Leistungsabfall, Muskel- und Knochenschwund, Fettzunahme bis hin zu einer Depression führen. Daher sollte man einen Mangel entsprechend supplementieren, was nichts mit Doping zu tun hat. Die Standardtherapie sieht ein transdermales Gel oder eine 3-Monats-Depotspritze vor und erzielt großartige klinische Ergebnisse.