Kunst auf nackter Haut

Lange ist es her, dass Tätowierungen noch ein Hauch von Verwegenheit anhaftete, dass Tattoos ihre Träger als Seemänner oder Knastbrüder enttarnten. Heute nennt rund jeder vierte Österreicher ein solches sein Eigen, Tendenz steigend.

Text: Doris Thallinger
Bilder: Andreas Eder / The Ink! Division, Adobe Stock

Tätowierungen gehören heute schon fast zur Tagesordnung. Was höchstens noch ältere Semester vielleicht noch ein Naserümpfen kostet, ist salonfähig geworden, mehr noch, ein richtiggehender Trend. Dabei sollte es natürlich gerade bei Tattoos, die einem ja bekanntlich ein Leben lang bleiben, nicht um die Trendfrage gehen, nicht darum, etwas zu machen, nur weil alle es machen! Ein Tattoo soll immerhin auch in vielen Jahren noch Freude bereiten.

Nur keine Schnellschuss-Aktion!

Entsprechend gut überlegt sollte das Motiv sein: Passt dieses auch in Zukunft zu mir, kann ich auch in zehn Jahren und mehr damit leben? Und natürlich spielen Ort und Stelle eine Rolle: Wie verändert mein Körper sich? Wer soll oder darf die Tätowierung sehen? Und, nicht ganz unwesentlich – wie schmerzempfindlich ist die betreffende Körperstelle?

„Relativ unempfindliche Stellen sind beispielsweise am Ober- oder Unterarm. Generell rate ich dazu, fürs erste Tattoo eine Körperstelle zu wählen, die nicht zu schmerzempfindlich ist. Man soll mit einem guten Gefühl zum Tätowieren, aber auch hinterher mit einem guten Gefühl und positiver Erinnerung nachhause gehen!“, erklärt Andreas Eder, Inhaber von The Ink! Division in Salzburg-Gnigl.

Ein gutes Gefühl sollte auf jeden Fall vorherrschen, darum macht es Sinn, sich sein Tätowier-Studio mit Bedacht auszusuchen und Wert auf profunde Beratung zu legen. „Abgesehen von Hygiene und Professionalität muss auch die Philosophie, die Wellenlänge übereinstimmen. Die Vibes müssen einfach passen“, bestätigt Andreas Eder. Der Tätowierer muss verstehen, was man will. Denn, so leicht fällt es oftmals gar nicht, zu erklären, welches Bild man vor dem inneren Auge vom künftigen Körperschmuck hat. Mit Beispielfotos und in einem ausführlichen Gespräch gelangt man zunehmend zu einem klaren Bild (auch für sich selbst) und – sehr wichtig – zum Gefühl, gut aufgehoben zu sein.

Aber, noch heißt es, Geduld beweisen – Tätowier-Termine sind heiß begehrt. Und ein wenig Zeit wollen wir dem Tätowierer, sprich Andreas Eder, auch geben, um einen Erstentwurf unseres Wunsch-Tattoos anzufertigen. Hier unterscheidet sich die Herangehensweise von Tätowierer zu Tätowierer. „Manche Traditionalisten zeichnen nach wie vor klassisch auf Papier“, so Andreas Eder, „ich arbeite mittlerweile am iPad, so kann ich Fotos hinterlegen, kann auf Knopfdruck vergrößern oder verkleinern, Motive in einem 3D-Modell anlegen und vieles mehr.“ Sobald der erste Entwurf fertig ist, beginnt die Feinabstimmung in regem WhatsApp-Austausch.

Der Tag der Tage

Und schließlich ist es so weit – das Motiv steht, die Aufregung ist groß und wird nur noch von der Vorfreude übertroffen. Gut ausgeruht und fit zum Tätowier-Termin zu erscheinen, ist sicherlich kein Fehler. Kaum ist die Einverständniserklärung samt „Anamnese“-Bogen ausgefüllt, geht es schon ans Eingemachte. Das Motiv – vorerst noch auf Papier gedruckt – wird am Körper angepasst und die endgültige Größe entschieden. Die finale „Anprobe“ erfolgt direkt auf der Haut: Mittels Thermopapier werden die Konturen auf den Körper „gepaust“ – auf Wunsch so oft, bis das Tattoo wirklich seinen perfekten Platz gefunden hat. Andi Eder empfiehlt unbedingt, sich in dieser Phase genug Zeit zu nehmen und sich nicht stressen zu lassen: „Keine Kompromisse eingehen, bis das Tattoo wirklich genau in der richtigen Größe und Position ist!“

Dann wird es ernst. Ein bisschen schlägt das Herz schon höher, wenn man auf der – zugegebenermaßen recht bequemen – Liege Platz nimmt, und die Vorbereitungen beobachtet. Die Tätowiermaschine beginnt leise zu surren – und dann gibt es kein Zurück mehr, der erste Stich ist gesetzt. „Für feine Linien verwende ich eine Dreier-Nadel“, erklärt Andi Eder, „damit die Linie durchgehend dieselbe Stärke hat, sind die Nadeln immer in ungerader Anzahl gebündelt.“ Linie um Linie werden alle Konturen tätowiert, solange die Vorlage auf der Haut noch gut sichtbar ist. Dieses Ziehen der Linien ist als leichtes Brennen zu fühlen, gut auszuhalten. Dennoch kostet es im ersten Moment etwas Überwindung, ganz ruhig weiterzuatmen.

Der erlesene Schmerz

Es ist keine Wellnessbehandlung, sich tätowieren zu lassen, das ist klar. Ein gewisser Schmerz gehört wohl auch dazu. Von schmerzlindernden Salben rät Andreas Eder ab: „Zum einen wirken sie nur sehr kurz, zum anderen quillt dadurch die Haut auf, was das Tätowieren erschwert. Wer wirklich glaubt, den Schmerz unbedingt lindern zu müssen, kann vorab eine Schmerztablette zu sich nehmen, aber Achtung: diese dürfen auf keinen Fall blutverdünnend wirken wie zum Beispiel Aspirin! Die Scherzlinderung wird allerdings nur minimal sein.“

Während des Tätowierens wird die Haut immer wieder mit Tattoo Butter versorgt und geschmeidig gehalten – so kann sie die Farbe optimal aufnehmen. Gestochen wird stets in die zweite Hautschicht, in dieser bleibt die Farbe dauerhaft erhalten und verrinnt nicht, zudem verheilt diese Schicht, ohne Narben zu bilden.

Es wird bunt

Sind die Konturen gezogen, geht es ans Farbenspiel. Auch hier wird deutlich, dass jeder Tätowierer seine eigene Philosophie vertritt: Während manche mit einer Palette von zig Farben in allen Schattierungen arbeiten, mischen andere die gewünschten Farben selbst an und gelangen so zu noch individuelleren und intensiveren Ergebnissen. Ein Irrglaube, der sich hartnäckig hält, ist, dass es ein Verbot gäbe, Farben zu tätowieren. „Es war nie verboten, in Farbe zu tätowieren“, so Andreas Eder, „jedoch wurden die EU-Richtlinien verschärft. Bis alle Farben in der neuen Formulierung wieder verfügbar waren, hat es allerdings eine Zeitlang gedauert.“

Die kleineren Flächen und Schattierungen nimmt er ebenfalls mit der Dreier-Nadel vor – und das fühlt sich schon ganz anders an als das Ziehen der Linien, da die Haut intensiver bearbeitet wird. „Mit einer dünneren Nadel kann ich eine Fläche viel organischer wirken lassen. Vor allem bei modernen Stilen, bei Porträts oder Konzept-Tattoos kann man so fast wie mit einem Bleistift zeichnen.“

Empfindet man das Schattieren als zu schmerzhaft bzw. sind die Flächen, die mit Farbe gefüllt werden, sehr groß, ist es möglich, diese Schattierungen in einer Extra-Sitzung vorzunehmen – allerdings: „Erst in sechs bis acht Wochen nach der ersten Sitzung – man sollte nicht in ein frisches Tattoo stechen.“ Das motiviert nur noch mehr, die gesamte Tätowierung in einer Sitzung fertigzustellen. „Es soll aber keine Quälerei werden!“, mahnt Andreas, denn: Eine große Herausforderung steht noch bevor.

Herausforderung im Endspurt

Die Feinarbeiten sind zum Großteil erledigt, doch wer sich ein Motiv mit viel farbiger Fläche gewählt hat, für den heißt es noch einmal, Zähne zusammenbeißen. Größere Flächen werden mit der Magnum-Nadel tätowiert, die im Aussehen einer kleinen Bürste ähnelt. In zwei Reihen sind die Nadeln versetzt angereiht, um so ein ebenmäßiges Farbergebnis zu erreichen. Zugegebenermaßen: Wäre man sehr wehleidig, könnte man hier nun fast an seine Grenzen geraten, insbesondere an empfindlichen Stellen, wie zum Beispiel direkt auf den Rippen, bzw. überall, wo wenig Gewebe unter der Haut vorhanden ist. Da hilft nur eines: an das Endergebnis denken!

Je länger eine Tätowier-Session dauert, desto empfindsamer wird der Körper generell. Ab einem gewissen Zeitpunkt spürt man tatsächlich jeden Stich und ist erleichtert, wenn ein Ende in Sicht kommt. Unter anderem auch deshalb, weil dann der schönste Augenblick wartet: der erste Blick in den Spiegel! Da geraten alle Schmerzen und weniger angenehmen Empfindungen ganz schnell in Vergessenheit. Was ist schon das bisschen Schmerz, gemessen an einem perfekten Gemälde, das am Körper entstanden ist. Für die Ewigkeit.