„Jeder war gut beieinander, jeder war ein wilder Hund“
Toni Sailer kennt heute noch fast jeder, aber die Salzburger Skistars der 50er und 60er sind kaum mehr bekannt. Dabei gab es auch aus Salzburg Top-Athleten und junge Männer, die mit ihrem Ehrgeiz die Welt eroberten, dabei aber nie ihren Schmäh verloren.
Leicht war es nicht, ein Skiprofi in den 50ern und 60ern zu werden. Das erste Paar Ski bekam man geschenkt, wenn man Glück hatte, sonst musste man es sich hart erarbeiten – beim Ballklauben am Tennisplatz, oder als Laufbursche im Hotel. Es gab kaum Skilifte und das Training bestand zur Hälfte daraus, den Hang hinaufzutreten. Wer erfolgreich war, konnte im ÖSV-Team von Rennen zu Rennen reisen und danach winkte eine internationale Karriere als Skilehrer. Heute sind die meisten Salzburger in ihrer Heimat vergessen, zu Unrecht, denn sie waren die Ausnahmesportler und Geburtshelfer des internationalen Skisports.
Kriegskinder
Den Biss, den die Salzburger Rennfahrer an den Tag legten, verdankten sie wohl ihrer harten Jugend, waren sie doch Kriegskinder. Auf die Berge zog die Jungen vor allem das Freiheitsgefühl, abseits aller Mühsale des Alltags. Der spätere Olympionike Hans Senger bekämpfte so sein Heimweh, das ihn während seiner Ausbildung zum Flugzeugbauer im deutschen Gotha plagte. „Als die Thüringer ein Skirennen abhielten, trat er an, doch als er im Ziel ankam, glaubten alle an einen Messfehler bei der Zeitnehmung. Der Hans fuhr noch einmal und war noch schneller“, erzählt seine Frau Rosi. Doch anstatt Rennläufer zu werden, ging es erst in den 2. Weltkrieg und in Kriegsgefangenschaft, bis er 1948 den Weg ins österreichische Nationalteam fand. Der Gasteiner Friedl Bader erinnert sich noch lebhaft an die Zeit: „Wir waren damals noch Kinder und bewunderten den Senger. Er war ein so eleganter Skifahrer, wie es damals keinen Zweiten gab.“
Eine harte Schule
Erich Sturm war 1957 ein junges Talent und dem Unkener Skiclub gelang es, den ÖSV zu überzeugen, ihn auf ein Profitraining auf den Weißsee bei Uttendorf mitzunehmen. „Da traf ich das erste Mal den Toni Sailer, den Anderl Molterer und den Ernst Hinterseer. Das waren 1957 absolute Stars. Dann war ich da oben der einzige Jugendliche unter lauter erwachsenen Profis. Wir mussten rund um den See laufen bis zum Trainingshang, da ging man eine halbe Stunde mit geschulterten Skiern hin, dann zum Mittagessen wieder zurück und nach kurzer Rast das Ganze noch einmal. Ich war vom Gehen schon fix und fertig. Der Molterer ist jedes Mal beinahe gelaufen, so fit war der. Der Senger Hans war da schon Nationaltrainer. Dann ist man raufgetreten und wieder runtergefahren, und rauf und runter und wieder und wieder“, so die Skilegende Sturm.
Für Ruhm und Ehre
Verdienen konnte man mit Skirennen in den 50ern und 60ern noch nichts, zusätzlich war es ein reiner Amateursport. Wer einen Sponsor hatte oder als Skilehrer arbeitete, durfte nicht mitfahren. Gottfried Schafflinger verdiente sein Geld als Kellner und Erich Sturm war Maurer. So konnte man außerhalb der Saison Geld verdienen und im Winter Skifahren. Ausreichend Material war nicht selbstverständlich. Als Hans Senger 1965 schon Trainer der italienischen Nationalmannschaft war, lieh er Sailer bei der WM seinen Bindungsriemen, weil dieser gerissen war und es keine Reserve gab. Erst 20 Sekunden vor Start war die Bindung repariert und Sailer gewann Gold in Cortina d’Ampezzo.
Hans Senger
*1925 – † 2004
Das Gasteiner Ausnahmeskitalent war Jahrgang 1925, wurde im 2. Weltkrieg eingezogen und saß zwei Jahre in Kriegsgefangenschaft. So stieß er erst 1948 zum Nationalteam.
- 1. Platz Glocknerskirennen, 1949
- 12. Platz Abfahrt, 13. Platz Riesentorlauf & 14 Platz Slalom, Ski-WM Aspen (USA), 1950
- 2. Platz Abfahrt, int. Rennen Streif, Kitzbühel, 1953
- 1. Platz Slalom, int. Rennen, Seefeld, 1953
- Trainer des italienischen Skiteams, Skilehrer in Stowe, Vermont (USA), Herrentrainer beim ÖSV
„Die Salzburger waren extrem stark und ehrgeizig, aber wollten immer zu viel.“
Werner Pflaum
Das Training wurde großteils ebenfalls in Eigenregie bestritten. Abseits der wenigen Trainingslager hielt sich Hans Senger mit Klimmzügen an der Teppichstange und Hanteltraining fit, Gottfried Schafflinger spielte Fußball und Ernst Oberaigner auch noch Tennis. Bergläufe waren zusätzliche Trainingsbetätigungen. Eine Verletzung war das größte Risiko, denn dann fiel man lange aus. „Ich war zum Rennen in Megève (FR) und fuhr das letzte Streckentraining. Als ich durch die S-Kurve gebrettert bin, haben sie grade einen Akia abgeseilt, weil jemand einen Unfall hatte und ich bin voll in das Seil hineingefahren. Da hab ich mir meinen Fuß gebrochen und fiel die ganze Saison aus“, erzählt Erich Sturm.
Sportliche Herzensbrecher
„Wir haben uns vor den Mädels kaum dawehrt. MeToo war das, aber auf unserer Seite“, lacht Werner Pflaum, der als junges Bad Gasteiner Nachwuchstalent diese Zeit noch live miterlebt hat, und fährt fort: „Jeder war gut beieinander, jeder war a wilder Hund. Das hat den Mädels imponiert, vor allem wer internationalen Erfolg hatte, war heiß begehrt. Zusätzlich wussten wir schon früh, wie man flirtet und tanzt, das haben einem die Älteren auf den Trainingslagern beigebracht.“ Aber auch der Schmäh ist immer gelaufen und man hatte kaum Kontaktängste. „Es kam gerade die Langriemenbindung auf, die war damals ganz neu. Der Gottfried kam vom ÖSV-Trainingslager mit seinem riesigen 2,23 Meter Abfahrtsski in die Skischule und stellte sich unauffällig in die Anfängergruppe. Da fragte er dann die fesche rothaarige Skilehrerin Trixi, wie er denn jetzt die Skier anziehen soll. Die hatte aber keine Ahnung, denn so eine Bindung hatte noch niemand außerhalb des Skirennsports gesehen. Wir anderen Skilehrer versuchten uns das Lachen zu verkneifen, am Ende lachte dann auch die Trixi und so begann das Gspusi.“
„Bei den österreichischen Meisterschaften war der Gottfried im Slalom sechs Sekunden vor den ganzen Tiroler Assen wie Sailer, Pravda und dem Leitner Hias. Das war Ehrenbeleidigung.“
Friedl Bader
Gottfried Schafflinger
*1937 – † 2021
Mit 20 Jahren galt der Slalomexperte als „Technikwunder“ im österreichischen Nationalkader. Aus Protest gegenüber der Bevorzugung der Tiroler Skifahrer beendete er 1962/63 seine Karriere.
- 4. Platz Slalom, Österr. Meisterschaften, 1960
- 7. Platz Slalom, int. Lauberhornrennen, Wengen (Schweiz), 1960
- 10. Platz Slalom, Kitzbühel, 1961
- 4. und 5. Platz int. 3-Tre-Rennen, Madonna di Campiglio (Italien), 1961
- 3. Platz, Méribel (Frankreich), 1962
Erich Sturm
*1941
Der gebürtige Unkener zählte zu den größten Talenten der 60er Jahre. Für den heute 82-Jährigen gibt es nur eine lebenslange Leidenschaft, den Skisport, egal ob als Rennfahrer, als Nationaltrainer oder in seiner Skischule und seinem Intersport Sturm in Lofer.
- 1. Platz Slalom, Frankreich, 1964
- 3. Platz Kombination, Coppa Grischa (CH), 1965
- 2. Platz Österr. Meisterschaften Abfahrt & 3. Platz Österr. Meisterschaften Slalom, 1966
- 1. Platz int. „Gornergrat-Derby“, Zermatt (CH), 1967
- Skilehrer in Portillo (Chile), versch. Wintersportorten in den USA und Perisher Valley, Australien.
- Profiskirennläufer in den USA. 1976 bis 1980 Trainer der ÖSV Damen und maßgeblich am Erfolg von Annemarie Moser Pröll beteiligt. Trainer der Nationalmannschaft Großbritanniens.
Interne Teamkämpfe
Der ÖSV war damals fest in Tiroler Hand. Erich Oberaigner war einer der besten Allroundskiläufer der 50er, wurde aber trotz Siegen in Chamonix (FR), Garmisch-Partenkirchen (D) und Wengen (CH) nicht zu den Olympischen Winterspielen in Cortina d’Ampezzo mitgenommen. Der Saalfeldener Fred Decker erzählt: „Nur als Vorläufer durfte er starten. Beim Riesenslalom der Damen war er dann 7 Sekunden schneller als die Olympiasiegerin Ossi Reichert aus Deutschland.“ Der Gasteiner Friedl Bader war damals im Nachwuchsteam und erinnert sich an das Technikwunder Gottfried Schafflinger: „Bei den österreichischen Meisterschaften war der Gottfried im Slalom sechs Sekunden vor den ganzen Tiroler Assen wie Sailer, Pravda und dem Leitner Hias. Das war Ehrenbeleidigung für die Tiroler Skistars. Er hätte bei der Abfahrt nur runterfahren brauchen, aber er wollt‘s ihnen richtig zeigen und hat dann zwei Tore vorm Ziel eingefädelt, dann hatte er gar nix!“ „Die Salzburger Rennläufer waren schon extrem stark und ehrgeizig, aber wollten oft zu viel“, ergänzt Zeitzeuge Werner Pflaum.
Von Salzburg in die weite Welt
Die internationalen Rennen waren eine wunderbare Möglichkeit zu reisen und Europa zu sehen. Doch die großen Chancen ergaben sich für die Rennläufer erst mit dem Ende ihrer Karriere. Der junge Skisport in den USA suchte dringend gute Trainer und Skilehrer und die Österreicher waren gefragt. Hans Senger ging nach Stowe in Vermont. Dort unterrichtete er reiche Elite Studenten der Boston University, unter anderem einen jungen Karim Aga Khan, jenen britischen Milliardär, der das religiöse Oberhaupt von 20 Millionen Ismailiten ist. Es entstand eine lebenslange Freundschaft, in der Hans Senger den talentierten jungen Mann bis zur Olympiareife trainiert und ihm als Freund, Skitrainer und Privatpilot ein Leben lang eng verbunden bleibt.
Auch Erich Sturm begab sich auf Reisen, mit dem Schiff und Zug geht es nach Chile. „Der Othmar Schneider hat gelesen, dass ich nicht mehr in der Nationalmannschaft fahre und hat mich gefragt, ob ich nach Portillo komm. Das war mein Traum“, denkt Sturm an die Zeit zurück. Neben der Arbeit als Skilehrer trainierte er die chilenische Nationalmannschaft. Bald darauf machte er sich auf in die USA, wo er neben dem Skilehrern in den gerade aufkommenden Profirennen seine zweite Rennkarriere starten konnte, das erste Mal bei Bezahlung.
In den USA trafen sich die österreichischen Ski-Asse wieder. Vorbei ist die Konkurrenz, vielmehr hielt man als Österreicher zusammen. In Mount Hood veranstalteten Sturm und die Tiroler Erich Sailer, Hugo Nindl und Anderl Molterer gemeinsam die ersten Racingcamps, in denen amerikanische Nachwuchstalente renntauglich gemacht wurden. Es waren die Österreicher, die den Skisport und das Skischulwesen in den USA aufbauten, viele blieben für immer.
Unvergessen
Bei all diesen Erlebnissen klingt es beinahe nur mehr wie eine Randnotiz, dass Hans Senger als italienischer Nationaltrainer Karriere machte und Erich Sturm als österreichischer Damentrainer hinter dem Erfolg von Annemarie Moser Pröll stand und seine Skischule in Lofer aufbaute. Ernst Oberaigner war als ÖSV-Trainer der Herren aktiv und Gottfried Schafflinger genießt in Gastein noch heute Legendenstatus. Trotz allem unvergessen sollte uns auch Toni Mark bleiben. Er war der zweite Saalfeldener auf Weltklasse-Niveau, der mit nur 25 Jahren bei einem schweren Sturz beim Skirennen um den Goldenen Schild vom Wallberg (GER) ums Leben kam. Als Konsequenz führte der internationale Skiverband dann die Sturzhelmpflicht und eine Non-Stop Abfahrt vor dem Rennen ein.
Text: Dominic Schafflinger
Fotos: Familienarchiv Senger, Archiv Skiclub Bad Gastein, Archiv Skischule Sturm, Archiv Alexander Schafflinger, Adobe Stock, Foto Gastuna, Foto Blumenthal, Foto Hans Truöl
Ernst Oberaigner
*1932 – † 2023
- Der Saalfeldener war einer der besten Allround-Skiläufer der 50er Jahre.
- 3. Platz Abfahrt, Ski-WM Åre (Schweden), 1954
- 1. Platz Abfahrt, int. Rennen Chamonix, Frankreich (1955 & 1956) und Garmisch-Partenkirchen (1954 & 1956)
- 1. Platz Slalom & Kombination, int. Lauberhornrennen, Wengen (Schweiz) 1959
- Österr. Meister Slalom, 1956 & Kombination, 1960